Die Insel Sylt ist eines der beliebtesten Urlaubziele der Deutschen.
Wellen, weiße lange Strände, unberührte Dünenlandschaft, süße Seehunde und die Weiten des Wattenmeeres werden von vielen geliebt. Doch der steigende Meeresspiegel und die alljährlichen Winterstürme nagen an der Insel. Bund, Land und Gemeinde investieren deshalb in den Küstenschutz, um die Trauminsel zu sichern und die weitere Schrumpfung der Insel zu verlangsamen. Die Schrumpfung betrifft aber nicht nur das Land sondern auch die Zahl der Sylter*innen. Seit vielen Jahren ist die Zahl der Personen mit Erstwohnsitz kontinuierlich rückläufig.
Überall auf der Insel entstehen neue Gebäude, der Bauboom kennt keinen Abschwung. Nur entsteht kaum Wohnraum für Menschen, die auch dauerhaft auf der Insel wohnen wollen oder müssen. Ferienwohnungen und wenig genutzte Zweitwohnsitze erleben eine ungebremste Nachfrage: Ihre Zahl wächst Jahr für Jahr an. Menschen mit Erstwohnsitz finden kaum noch eine Mietwohnung. Diese sind für Normalverdienende unerschwinglich geworden. Denn in Kampen werden die höchsten Immobilienpreise der Bundesrepublik aufgerufen und die Sylter Mieten sind im bundesweiten Vergleich ebenfalls an der Spitze. Den Sylter*innen wird die eigene Insel fremd. Für sie ist kein Platz mehr. Das betrifft auch die Saisonarbeiter*innen, deren geringe Bezahlung reicht zumeist nicht für die Miete einer Wohnung oder eines Zimmers aus. Sie hausen stattdessen in winzigen Unterkünften, auf Campingplätzen oder müssen wie auch die bereits verdrängten Sylter*innen täglich mit der verspätungsanfälligen Eisenbahn über den Hindenburgdamm pendeln. Einheimische und auch Saisonarbeiter*innen werden auf das Festland verdrängt.
In der Konsequenz geht die Zahl der Schüler*innen zurück: Längst haben erste Schulen geschlossen, selbst Grundschulkinder müssen nun teilweise mit dem Bus weite Strecken pendeln. Da der Nachwuchs fehlt, ist auch die Einsatzbereitschaft der freiwilligen Feuerwehr in Gefahr. In den kleineren Gemeinden oder auch Ortsteilen der Gemeinde Sylt findet außerhalb der Sommersaison kaum mehr ein Sozial- oder Gemeindeleben statt, während zur Hochsaison Dauerstau auf den Straßen und Dauerstress in allen Läden, Dienstleistungsbetrieben sowie in Kultur- und Medizineinrichtungen vorherrschen. Daseinsvorsorge und Lebensqualität der Sylter*innen verschlechtern sich kontinuierlich. Der schöne Schein der Trauminsel der Deutschen ist für die Einwohner*innen und Saisonarbeiter*innen also ein Albtraum.
Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, errichtet die Gemeinde Sylt über das Kommunale Liegenschaftmanagement verstärkt Mietwohnraum für Einheimische zu bezahlbaren Bedingungen; und baut dafür auch Gebäudekomplexe grundlegend um und nutzt Konversionsflächen. Zugleich dämmt die Gemeinde die Möglichkeiten der Veräußerung von Immobilien an Besserverdienende vom Festland ein. Mit der Festsetzung von Bebauungsplänen oder auch sozialen wie städtebaulichen Erhaltungssatzungen arbeitet die Gemeindeverwaltung am Schutz von Dauerwohnungen im Hauptort Westerland, sichert ortsbildprägende und ortsbildtypische Gebäude. Denn die Renditeerwartungen der Investor*innen führen zu immer stärker an der maximal möglichen Bruttogeschossfläche orientierten Neubauten, denen Bestandsgebäude weichen sollen. Diese auch als „Dampfer“ bezeichnete Bauform zermalmt die Reste der historischen Bäderarchitektur ebenso wie eingepasste, noch behutsam zu qualifizierende Neubauten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Gemeindepolitik gab es bisher keine Mehrheiten für eine gezielte und klare Bodenwert- und Stadtentwicklungspolitik. Lediglich für besondere Einzelfälle ergeben sich Mehrheiten, mit denen aber nur der Entwicklung von Einzelobjekten hinterhergelaufen wird.
Zielführender wäre die politische Verständigung auf einen integrierten Gesamtansatz, mit dem die Entwicklung anhand nachvollziehbarer Kriterien und stadtentwicklungspolitischer Leitlinien ganzheitlich betrieben würde. Dafür muss der aus den 1980er Jahren stammende Rahmenplan für die Innenstadt von Westerland grundlegend überarbeitet und im Hinblick auf die vielfältigen Herausforderungen neu aufgestellt werden.
Im Wintersemester 2020/2021 hat sich das Bachelor-Auftragsprojekt deshalb mit den vielfältigen Entwicklungen, ihren Ursachen und den konkreten Herausforderungen auf der Insel Sylt befasst. Dazu wurden die geschichtlichen Hintergründe, die unterschiedlichen Interessen sowie die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen analysiert sowie konkrete Ansätze zum Umgang mit der verfahrenen Situation diskutiert.
Für das Zentrum vom Hauptort Westerland wurde mit der Erstellung eines städtebaulichen Rahmenplans begonnen, um die wissenschaftlichen Grundlagen, die Rahmenbedingungen, die erarbeiteten Erkenntnisse und den Austausch mit der Gemeindeverwaltung in eine konkrete Anwendung zu überführen. Dafür wurde in Westerland eine umfassende Bestandsaufnahme durchgeführt, bei der zugleich der äußere Zustand aller Gebäude erhoben wie auch der öffentliche Straßenraum gemäß der Bewertungskriterien nach Jan Gehl eingestuft und beschrieben wurde. Über zahlreiche Expert*innengespräche wurden möglichst unterschiedliche Sichtweise und Einschätzungen kennengelernt. Den Abschluss bildeten die Erstellung von Plandarstellungen und einer SWOT-Analyse.
Im Sommersemester 2021 soll das Master-Projekt diese vorliegenden Analysen und Erkenntnissen für die Erstellung eines städtebaulichen Rahmenplans für das Zentrum von Westerland nutzen. Dazu ist weiterhin ein enger Austausch mit der Gemeinde Sylt vereinbart, die ein hohes Interesse an den Ergebnissen der Projektarbeit hat. Der städtebauliche Rahmenplan soll unter Mitwirkung der Bürger*innen von Westerland entstehen. Im Ergebnis soll die zentrale Planungsgrundlage für die weitere Entwicklung der Innenstadt von Westerland für die nächsten 15 Jahre vorliegen.