SYLT – Insel nur für Reiche?
Städ­te­bau­li­cher Rahmen­plan Westerland
Dozent: Roland Schröder
SoSe 2021
2 SWS / 12 ECTS

Die Insel Sylt ist eines der belieb­testen Urlaub­ziele der Deutschen.

Wellen, weiße lange Strände, unbe­rührte Dünen­land­schaft, süße Seehunde und die Weiten des Watten­meeres werden von vielen geliebt. Doch der stei­gende Meeres­spiegel und die alljähr­li­chen Winter­stürme nagen an der Insel. Bund, Land und Gemeinde inves­tieren deshalb in den Küsten­schutz, um die Traum­insel zu sichern und die weitere Schrump­fung der Insel zu verlang­samen. Die Schrump­fung betrifft aber nicht nur das Land sondern auch die Zahl der Sylter*innen. Seit vielen Jahren ist die Zahl der Personen mit Erst­wohn­sitz konti­nu­ier­lich rückläufig.

Überall auf der Insel entstehen neue Gebäude, der Bauboom kennt keinen Abschwung. Nur entsteht kaum Wohn­raum für Menschen, die auch dauer­haft auf der Insel wohnen wollen oder müssen. Feri­en­woh­nungen und wenig genutzte Zweit­wohn­sitze erleben eine unge­bremste Nach­frage: Ihre Zahl wächst Jahr für Jahr an. Menschen mit Erst­wohn­sitz finden kaum noch eine Miet­woh­nung. Diese sind für Normal­ver­die­nende uner­schwing­lich geworden. Denn in Kampen werden die höchsten Immo­bi­li­en­preise der Bundes­re­pu­blik aufge­rufen und die Sylter Mieten sind im bundes­weiten Vergleich eben­falls an der Spitze. Den Sylter*innen wird die eigene Insel fremd. Für sie ist kein Platz mehr. Das betrifft auch die Saisonarbeiter*innen, deren geringe Bezah­lung reicht zumeist nicht für die Miete einer Wohnung oder eines Zimmers aus. Sie hausen statt­dessen in winzigen Unter­künften, auf Camping­plätzen oder müssen wie auch die bereits verdrängten Sylter*innen täglich mit der verspä­tungs­an­fäl­ligen Eisen­bahn über den Hinden­burg­damm pendeln. Einhei­mi­sche und auch Saisonarbeiter*innen werden auf das Fest­land verdrängt.

In der Konse­quenz geht die Zahl der Schüler*innen zurück: Längst haben erste Schulen geschlossen, selbst Grund­schul­kinder müssen nun teil­weise mit dem Bus weite Stre­cken pendeln. Da der Nach­wuchs fehlt, ist auch die Einsatz­be­reit­schaft der frei­wil­ligen Feuer­wehr in Gefahr. In den klei­neren Gemeinden oder auch Orts­teilen der Gemeinde Sylt findet außer­halb der Sommer­saison kaum mehr ein Sozial- oder Gemein­de­leben statt, während zur Hoch­saison Dauer­stau auf den Straßen und Dauer­stress in allen Läden, Dienst­leis­tungs­be­trieben sowie in Kultur- und Medi­zin­ein­rich­tungen vorherr­schen. Daseins­vor­sorge und Lebens­qua­lität der Sylter*innen verschlech­tern sich konti­nu­ier­lich. Der schöne Schein der Traum­insel der Deut­schen ist für die Einwohner*innen und Saisonarbeiter*innen also ein Albtraum.

Um dieser Entwick­lung entgegen zu wirken, errichtet die Gemeinde Sylt über das Kommu­nale Liegen­schaft­ma­nage­ment verstärkt Miet­wohn­raum für Einhei­mi­sche zu bezahl­baren Bedin­gungen; und baut dafür auch Gebäu­de­kom­plexe grund­le­gend um und nutzt Konver­si­ons­flä­chen. Zugleich dämmt die Gemeinde die Möglich­keiten der Veräu­ße­rung von Immo­bi­lien an Besser­ver­die­nende vom Fest­land ein. Mit der Fest­set­zung von Bebau­ungs­plänen oder auch sozialen wie städ­te­bau­li­chen Erhal­tungs­sat­zungen arbeitet die Gemein­de­ver­wal­tung am Schutz von Dauer­woh­nungen im Hauptort Wester­land, sichert orts­bild­prä­gende und orts­bild­ty­pi­sche Gebäude. Denn die Rendi­te­er­war­tungen der Investor*innen führen zu immer stärker an der maximal mögli­chen Brut­to­ge­schoss­fläche orien­tierten Neubauten, denen Bestands­ge­bäude weichen sollen. Diese auch als „Dampfer“ bezeich­nete Bauform zermalmt die Reste der histo­ri­schen Bäder­ar­chi­tektur ebenso wie einge­passte, noch behutsam zu quali­fi­zie­rende Neubauten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts. In der Gemein­de­po­litik gab es bisher keine Mehr­heiten für eine gezielte und klare Boden­wert- und Stadt­ent­wick­lungs­po­litik. Ledig­lich für beson­dere Einzel­fälle ergeben sich Mehr­heiten, mit denen aber nur der Entwick­lung von Einzel­ob­jekten hinter­her­ge­laufen wird.

Ziel­füh­render wäre die poli­ti­sche Verstän­di­gung auf einen inte­grierten Gesamt­an­satz, mit dem die Entwick­lung anhand nach­voll­zieh­barer Krite­rien und stadt­ent­wick­lungs­po­li­ti­scher Leit­li­nien ganz­heit­lich betrieben würde. Dafür muss der aus den 1980er Jahren stam­mende Rahmen­plan für die Innen­stadt von Wester­land grund­le­gend über­ar­beitet und im Hinblick auf die viel­fäl­tigen Heraus­for­de­rungen neu aufge­stellt werden.

Im Winter­se­mester 2020/2021 hat sich das Bachelor-Auftrags­pro­jekt deshalb mit den viel­fäl­tigen Entwick­lungen, ihren Ursa­chen und den konkreten Heraus­for­de­rungen auf der Insel Sylt befasst. Dazu wurden die geschicht­li­chen Hinter­gründe, die unter­schied­li­chen Inter­essen sowie die recht­li­chen und poli­ti­schen Rahmen­be­din­gungen analy­siert sowie konkrete Ansätze zum Umgang mit der verfah­renen Situa­tion diskutiert.

Für das Zentrum vom Hauptort Wester­land wurde mit der Erstel­lung eines städ­te­bau­li­chen Rahmen­plans begonnen, um die wissen­schaft­li­chen Grund­lagen, die Rahmen­be­din­gungen, die erar­bei­teten Erkennt­nisse und den Austausch mit der Gemein­de­ver­wal­tung in eine konkrete Anwen­dung zu über­führen. Dafür wurde in Wester­land eine umfas­sende Bestands­auf­nahme durch­ge­führt, bei der zugleich der äußere Zustand aller Gebäude erhoben wie auch der öffent­liche Stra­ßen­raum gemäß der Bewer­tungs­kri­te­rien nach Jan Gehl einge­stuft und beschrieben wurde. Über zahl­reiche Expert*innengespräche wurden möglichst unter­schied­liche Sicht­weise und Einschät­zungen kennen­ge­lernt. Den Abschluss bildeten die Erstel­lung von Plan­dar­stel­lungen und einer SWOT-Analyse.

Im Sommer­se­mester 2021 soll das Master-Projekt diese vorlie­genden Analysen und Erkennt­nissen für die Erstel­lung eines städ­te­bau­li­chen Rahmen­plans für das Zentrum von Wester­land nutzen. Dazu ist weiterhin ein enger Austausch mit der Gemeinde Sylt verein­bart, die ein hohes Inter­esse an den Ergeb­nissen der Projekt­ar­beit hat. Der städ­te­bau­liche Rahmen­plan soll unter Mitwir­kung der Bürger*innen von Wester­land entstehen. Im Ergebnis soll die zentrale Planungs­grund­lage für die weitere Entwick­lung der Innen­stadt von Wester­land für die nächsten 15 Jahre vorliegen.

Abbildung: LABOR K